Am 22.12.2021 hat die EU Kommission einen Entwurf einer neuen Anti-Steuervermeidungsrichtlinie veröffentlich, der Regelungen zur Verhinderung von steuerlichem Missbrauch durch die Nutzung von Briefkastengesellschaften (shell entities) vorsieht (RL-E ATAD 3). Der Entwurf ist Teil der sogenannten „Unshell Initiative“ und wurde bereits am 18.05.2021 in der „Mitteilung zur Unternehmensbesteuerung für das 21. Jahrhundert“ von der EU Kommission angekündigt.
Der Richtlinienentwurf steht im Zusammenhang mit den Bestrebungen innerhalb der EU, eine faires Unternehmenssteuersystem zu etablieren und Steuervermeidung und aggressiver Steuerplanung entgegenzutreten. Der nunmehrige Vorschlag folgt den früheren Anti-Steuervermeidungsrichtlinien (ATAD I und ATAD II), welche unter anderem die Implementierung einer Hinzurechnungsbesteuerung, einer Zinsschranke, Regelungen zur Wegzugsbesteuerung und einer allgemeinen steuerlichen Missbrauchsregelung vorsehen sowie der Änderung der Amtshilferichtlinie (DAC 6), welche die Umsetzung von Verpflichtungen zur Offenlegung bestimmter grenzüberschreitender Steuergestaltungen normiert. Diese genannten Richtlinien wurden in Österreich bereits in nationales Recht umgesetzt.
Der Richtlinienentwurf im Überblick
Der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie ist weit und bezieht sich auf alle „Unternehmen“ (undertakings), die als in einem Mitgliedstaat der EU steuerlich ansässig gelten können (zu den Ausnahmen siehe weiter unten). Für nicht in der EU ansässige Unternehmen plant die EU Kommission eine weitere Initiative im Lauf des Jahres 2022 zu veröffentlichen.
Der Richtlinienentwurf sieht im Wesentlichen einen aus mehreren Schritten bestehenden Substanztest mit Erklärungspflichten vor sowie steuerliche Rechtsfolgen für jene Unternehmen, die bestimmte definierte Substanzkriterien nicht erfüllen. Diese steuerlichen Rechtsfolgen bestehen insbesondere im Verlust von Steuervorteilen aus Doppelbesteuerungsabkommen, der Nichtanwendung der Mutter-Tochter Richtlinie und der Zinsen und Lizenzgebühren Richtlinie, der Versagung der Ausstellung einer Ansässigkeitsbescheinigung (oder Ausstellung einer solchen nur mit „Warnhinweis“) sowie die Besteuerung auf Ebene der Gesellschafter des Unternehmens.
Neben den genannten Rechtsfolgen sieht der Entwurf auch einen automatischen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten vor, die Implementierung von Pönalen bei Nichteinhaltung der sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen sowie die Möglichkeit von Behörden eines Mitgliedstaates, eine Betriebsprüfung im Mitgliedstaat des Unternehmens zu initiieren, vor.
Identifizierung von Unternehmen mit Risiko mangelnder Substanz („gateway“) (Artikel 6 RL-E ATAD 3)
In einem ersten Schritt sind jene Unternehmen der Mitgliedstaaten zu identifizieren, bei denen das Risiko mangelnder Substanz besteht. Ein solches Risiko wird bei jenen Unternehmen angenommen, die nachstehende Kriterien kumulativ erfüllen:
Jene Unternehmen, die die oben Kriterien erfüllen, sind in einem zweiten Schritt (siehe unten) verpflichtet, bestimmte Erklärungen betreffend ihre Substanz in ihrer Jahressteuererklärung abzugeben.
Von dieser Erklärungspflicht ausgenommen sind insbesondere bestimmte börsenotierte Unternehmen, regulierte Finanzunternehmen, Holdinggesellschaften, die im selben Mitgliedstaat ansässig sind wie ihre wirtschaftlichen Eigentümer oder Gesellschafter oder oberste Muttergesellschaft sowie Unternehmen mit zumindest fünf Vollzeit-Mitarbeitern, die ausschließlich die Aktivitäten zur Erzielung des relevanten Einkommens ausüben.
Erklärungspflichten, Vermutung (des Nichtvorliegens) von Mindestsubstanz, Widerlegung der Vermutung und Ausnahme wegen des Fehlens von Steuermotiven (Artikel 7, 8, 9 und 10 RL-E ATAD 3)
In einem zweiten Schritt sieht der Entwurf vor, dass jene Unternehmen, welche als risikoreich im Hinblick auf ihre Substanz gelten (siehe oben) in ihrer Jahressteuererklärung angeben müssen, ob sie die nachstehenden Indikatoren für das Vorliegen von Mindestsubstanz erfüllen:
Zusätzlich zu den oben genannten Angaben sind bestimmte Dokumente als Nachweis im Rahmen der Jahressteuererklärung zu übermitteln.
Für ein Unternehmen, das die oben angeführten Substanzkriterien erfüllt und ausreichende Nachweise vorlegt, wird angenommen, dass es im relevanten Steuerjahr über Mindestsubstanz verfügt.
Erklärt ein Unternehmen, dass es die Substanzkriterien nicht erfüllt und/oder legt es keine ausreichenden Nachweise vor, so besteht die Vermutung, dass es nicht über Mindestsubstanz verfügt. Grundsätzlich würden in diesem Fall die unten dargestellten steuerlichen Rechtsfolgen eintreten. Das Unternehmen soll aber die Möglichkeit haben, die Vermutung durch Vorlage weiterer, spezifischer Nachweise darüber, dass es kontinuierlich die Kontrolle über die Aktivitäten, die zu den relevanten Einkünften geführt haben (bzw des Vermögens bei Nichtvorliegen von Einkommen) hatte, sowie die entsprechenden Risiken getragen hatte, zu widerlegen. Eine solche Widerlegung ist für das relevante Steuerjahr gültig. Der Mitgliedstaat kann die Gültigkeit auf weitere fünf Jahre verlängern, sofern sich die rechtlichen Tatsachen und Umstände nicht geändert haben.
Zusätzlich sieht der Richtlinienentwurf vor, dass Unternehmen alternativ auch nachweisen können sollen, dass ihre Existenz zu keiner Reduktion der Steuerbelastung auf Ebene der wirtschaftlichen Eigentümer oder des Konzerns insgesamt führt. Gelingt ein solcher Nachweis, kann ein Mitgliedstaat eine Ausnahme von den Verpflichtungen nach der Richtlinie für das relevante Steuerjahr erteilen (auch hier mit der Möglichkeit die Gültigkeit auf weitere fünf Jahre unter der Voraussetzung gleichbleibender rechtlicher Tatsachen und Umständen zu verlängern).
Steuerliche Rechtsfolgen bei Vermutung des Nichtvorliegens von Mindestsubstanz (Artikel 11 und 12 RL-E ATAD 3)
Für Unternehmen, die unter der Vermutung stehen, dass sie nicht über Mindestsubstanz verfügen (bzw bei denen eine solche Vermutung nicht erfolgreich widerlegt wurde), treten insbesondere die folgenden steuerlichen Rechtsfolgen ein:
Informationsaustausch, Straften und Initiierung einer Betriebsprüfung (Artikel 13, 14 und 15 RL-E ATAD 3)
Der Richtlinienentwurf sieht im Hinblick auf die durch die Maßnahmen der Richtlinie erhaltenen Informationen einen automatischen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über eine zentrale Datenbank vor.
Grundsätzlich sollen die Mitgliedstaaten (effektive, verhältnismäßige und abschreckende) Strafen für Verstöße gegen die aus der Richtlinie resultierenden Verpflichtungen selbst festlegen. Nach dem Entwurf sollen die Mitgliedstaaten jedoch eine Strafe in Höhe von mindestens 5% des Jahresumsatzes des Unternehmens vorsehen, wenn das Unternehmen seiner Erklärungspflicht nicht nachkommt oder falsche Angaben macht.
Darüber hinaus sollen Behörden eines Mitgliedstaates die Möglichkeit haben, eine Betriebsprüfung im Mitgliedstaat des Unternehmens zu initiieren, sofern sie Grund zu Annahme haben, dass ein Unternehmen seinen Verpflichtungen nach der Richtlinie nicht nachgekommen ist.
Nächste Schritte und Ausblick
Nach dem derzeitigen Entwurf RL-ATAD 3 soll die Richtlinie bis 30. Juni 2023 in nationales Recht umgesetzt werden und mit 01. Jänner 2024 in Kraft treten. Offen ist, ob der Richtlinienentwurf unverändert bleibt und in dieser Form beschlossen wird. Dennoch sind Unternehmen, die von der Richtlinie betroffen sein könnten (insbesondere internationale Konzerne und Holding-Gesellschaften), gut beraten, die Auswirkungen der Richtlinie möglichst früh zu antizipieren. Da die Kriterien nach Art 6 RL-E ATAD 3 auf Grundlage von zwei vorangegangenen Steuerjahren beurteilt werden sollen, kann es notwendig sein, eine entsprechende Prüfung schon auf Grundlage des Steuerjahres 2022 durchzuführen.