Ungarn

Die jüngste Änderung des ungarischen Wettbewerbsgesetzes wirft mehrere wichtige Rechtsfragen auf

Im Folgenden beschreiben wir kurz die wichtigsten Punkte des jüngsten Entwurfs zur Änderung des ungarischen Wettbewerbsgesetzes, der auf großes Interesse stieß und lebhaftes Echo in der Presse hervorrief. Im Falle der Verabschiedung des Gesetzentwurfs würden sich die Befugnisse und Eingriffsmöglichkeiten der ungarischen Wettbewerbsbehörde („GVH“) erheblich erweitern. Die drei wichtigsten Änderungen sind die folgenden.

Im Folgenden beschreiben wir kurz die wichtigsten Punkte des jüngsten Entwurfs zur Änderung des ungarischen Wettbewerbsgesetzes,[1] der auf großes Interesse stieß und lebhaftes Echo in der Presse hervorrief. Im Falle der Verabschiedung des Gesetzentwurfs würden sich die Befugnisse und Eingriffsmöglichkeiten der ungarischen Wettbewerbsbehörde („GVH“) erheblich erweitern. Die drei wichtigsten Änderungen sind die folgenden.

 

I.Unternehmen von grundlegender Bedeutung

Nach dem Gesetzentwurf wäre die GVH befugt, im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens festzustellen, dass ein Unternehmen als „Unternehmen von grundlegender Bedeutung“ („UGB“) gilt[2], und sie könnte einem solchen Unternehmen weitreichende Verpflichtungen auferlegen, ohne dass das UGB einen Rechtsverstoß begangen hat.

Laut Gesetzentwurf muss die grundlegende Bedeutung – für den Wettbewerb und für die Verbrauchermarktübergreifend vorliegen. Darüber hinaus enthält der Entwurf Beispiele für die Kriterien, die bei der Qualifizierung als UGB zu berücksichtigen sind, wie z. B. Marktanteil, Marktmacht und Zugang des Unternehmens zu anderen Ressourcen, vertikale Integration oder Tätigkeiten des Unternehmens auf anderweitig miteinander verbundenen Märkten, Zugang des Unternehmens zu wettbewerbsrelevanten Informationen, die grundlegende Bedeutung der erbrachten Dienstleistungen oder der hergestellten/vertriebenen Waren für die Verbraucher oder für die Wirtschaft sowie die Frage, ob die Tätigkeiten des Unternehmens für Dritte oder für Verbraucher von Bedeutung sind und dem Unternehmen Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten bieten. Diese Liste ist allerdings nicht erschöpfend, und es ist möglich, dass die GVH ein Unternehmen aufgrund anderer Kriterien als UGB einstuft. Im Gesetzentwurf wird auch nicht erläutert, wie die oben genannten Kriterien in einem Verwaltungsverfahren zu beurteilen sind.

Nach dem Entwurf könnte die GVH dem UGB am Ende des Verwaltungsverfahrens die folgenden Verpflichtungen auferlegen:

i) Die GVH könnte dem UGB untersagen, seine eigenen Angebote (inkl. Angeboten aus seinem Konzern) bevorzugt zu behandeln, die Daten seiner Geschäftspartner ohne deren Zustimmung zu eigenen Zwecken zu verwenden oder mit anderen Daten zu verbinden sowie die Interoperabilität oder Datenübertragbarkeit zu verhindern (ähnlich wie bei Torwächtern nach dem Gesetz über digitale Märkte im EU-Recht)

ii) Die GVH könnte das UGB verpflichten, über die Leistung, die Qualität und den Erfolg der den Geschäftspartnern des UGB erbrachten Dienstleistungen Auskunft zu geben;

iii)Die GVH könnte das UGB im Interesse der Versorgungssicherheit zu Änderungen in seinem Betrieb verpflichten, wenn es nicht in der Lage ist, seinen Pflichten nachzukommen, oder die Gefahr hierfür besteht. In einem solchen Fall könnte die GVH die (Zwangs-)Veräußerung des ganzen Unternehmens oder eines Teils des Unternehmens verlangen, bzw. sie könnte das Unternehmen verpflichten, die erforderlichen Vermögenswerte/Register/Daten zwecks Betriebsfortführung an andere (von der GVH zu bestimmende) Dienstleister zu übergeben. Die GVH könnte ferner dieBestellung anderer leitender Personen in den Vorstand veranlassen, zur Übertragung von Beteiligungen verpflichten bzw. die mit diesen Beteiligungen verbundenen Stimmrechte aussetzen, die Einberufung der Hauptversammlung und die Erörterung bestimmter Tagesordnungspunkte verlangen sowie auf die Notwendigkeit bestimmter Entscheidungen hinweisen.

Betreffend die unter Ziffer iii oben aufgelisteten Maßnahmen schreibt der Gesetzentwurf vor, dass sie nach dem (allgemeinen) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anzuwenden sind.[3] Betreffend den Entwurf, der das Grundrecht auf Privateigentum einschränken würde, ist jedoch eine Reihe kritischer Fragen noch nicht vollständig geklärt (z. B. welchen Pflichten das UGB nachzukommen hätte, wer bestimmt, an wen das UGB zu verkaufen ist, wer die neuen Vorstände wählt, und welche rechtlichen Garantien dem UGB in einem solchen Verfahren gewährt werden).

Beim Verstoß gegen die auferlegten Pflichten könnte die GVH eine Geldbuße in Höhe von bis zu dreizehn Prozent des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Nettoumsatzes des UGB oder seines gesamten Konzerns verhängen. Dies ist eine beachtliche Sanktion in einem Fall, in dem zunächst einmal gar kein Verstoß gegen die klassischen Vorschriften des Wettbewerbsrechts vorliegt.

Da gegen Bescheide der GVH keine Berufung eingelegt werden kann, sind diese unmittelbar nach ihrer Mitteilung endgültig und vollstreckbar. Obwohl das UGB die Entscheidung der GVH (sowohl wegen der Qualifizierung als UGB als auch wegen der auferlegten Pflicht) im Verwaltungsprozess anfechten kann, kann die Einleitung des Verwaltungsprozesses die Vollstreckbarkeit der Entscheidung nicht beeinflussen. Das UGB könnte von der ihm auferlegten Pflicht erst dann befreit werden, wenn das Gericht ihm (den sehr selten erlassenen) einstweiligen Rechtsschutz gewähren würde. Die GVH kann ihre Entscheidung über die Qualifizierung als UGB (im Rahmen einer sog. Nachprüfung) zwar nach eigenem Ermessen revidieren, aber das UGB könnte binnen einem Jahr nach dem Erlass der Entscheidung keine Nachprüfung beantragen.

II. Anhaltend verzerrter Wettbewerb ohne Zuwiderhandlung

Der Gesetzentwurf erweitert die Kompetenzen der GVH ferner dadurch, dass die GVH aufgrund der Ergebnisse ihrer Marktanalyse oder (beschleunigten) Branchenuntersuchung feststellen könnte, dass der Wettbewerb auf dem untersuchten Markt auch ohne Zuwiderhandlungin erheblichem Maß und kontinuierlich verzerrt / beschränkt ist und dies bereits in den letzten 3 Jahren vor der Einleitung der Untersuchung wiederkehrend oder anhaltend der Fall war. Die Neuerung besteht darin, dass die GVH dem Unternehmen, das zur Wettbewerbsverzerrung beiträgt, nun auch ohne Feststellung einer Zuwiderhandlung eine notwendige und verhältnismäßige Verpflichtung auferlegen könnte. Diese Verpflichtung kann sowohl „verhaltensorientiert“ sein (die Art und Weise der Betriebs- oder Geschäftstätigkeit betreffen) als auch strukturelle Natur haben (z. B. die Veräußerung eines Teils des Unternehmens vorsehen). Zur Verpflichtung kann es kommen, wenn es – nach Ansicht der GVH – wahrscheinlich ist, dass die Wettbewerbsverzerrung ohne die Verpflichtung nicht binnen zwei Jahren enden würde.[4]

 

III.Bestimmung der Richtung der Rechtsprechung

 

Der Gesetzentwurf enthält ausdrückliche Leitlinien für die Gerichte betreffend den Ausgang des Verwaltungsprozesses bei der gerichtlichen Überprüfung der Entscheidungen der GVH. Der Gesetzentwurf sieht nämlich vor, dass „bei der Beurteilung der Streitigkeit sicherzustellen ist, dass das Erfordernis der Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts nicht beeinträchtigt wird“.[5] Natürlich wird zunächst einmal die Praxis zeigen, wie diese Bestimmung von den unabhängigen Gerichten angewandt werden wird. Aus dem Entwurf geht jedoch noch nicht klar hervor, welchen Zweck diese Vorschrift verfolgt. Die Funktion des gegen eine Entscheidung der GVH eingeleiteten Verwaltungsprozesses besteht nämlich nicht in der Einschränkung der Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts, sondern in der Sicherstellung der Geltung des Grundsatzes des fairen Verfahrens dadurch, dass das aufgerufene Verwaltungsgericht prüft, ob die GVH als Rechtsanwender die Vorschriften des Wettbewerbsrechtes im Einklang mit den jeweils geltenden anderen Rechtsvorschriften durchsetzt.

Es ist indes zu betonen, dass der oben dargestellte Gesetzentwurf noch kein beschlossenes Gesetz ist. Im Laufe des Gesetzgebungsvorgangs kann er noch geändert werden, und das verabschiedete Gesetz kann vom Präsidenten der Republik vor Ausfertigung wegen verfassungsrechtlicher Bedenken zwecks Überprüfung erneut ans Parlament vorgelegt oder zwecks Normenkontrolle ans Verfassungsgericht weitergeleitet werden.

Wie Unternehmen und Experten, so verfolgen auch wir diesen Gesetzgebungsprozess mit großem Interesse. Wenn Sie Fragen zum Gesetzentwurf haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

 

Autoren: Anna Pintér und Márton Kocsis

 

Für weitere Informationen:
Márton Kocsis

Partner

Competition & Compliance

marton.kocsis(at)cerhahempel.hu

Tel: +36 1 457 80 40
 

 

[1] Ungarisches Gesetz LVII von 1996 über das Verbot des unlauteren Marktverhaltens und der Wettbewerbsbeschränkung („WettbG“)

[2] Laut § 22a WettbG (idF des Gesetzentwurfs)

[3] Laut § 76a WettbG (idF des Gesetzentwurfs)

[4] Laut § 43f WettbG (idF des Gesetzentwurfs)

[5] Laut § 83a WettbG (idF des Gesetzentwurfs)