Haftung des Einzelhändlers für Kennzeichnungsmängel von Fremdmarken?

Kettenverantwortung LMIV Verwaltungsstrafe

Artikel 8 Abs 1 LMIV

In der Praxis stellt sich häufig die Frage, ob ein Einzelhändler für kennzeichnungsrechtliche Verstöße von Markenartikeln verantwortlich ist. Die Antwort darauf gibt (wenig klar) Artikel 8 der Lebensmittelinformationsverordnung (Verordnung (EU) Nr. 1169/2011, „LMIV“). Artikel 8 Abs 1 LMIV erklärt grundsätzlich denjenigen für die Kennzeichnung verantwortlich, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel vermarktet wird; diese „primäre“ Haftung kann den Einzelhändler für Fremdmarken nicht treffen. Artikel 8 Abs 3 LMIV untersagt jedoch Lebensmittelunternehmern, deren Tätigkeiten die Informationen über Lebensmittel nicht beeinflussen, die Abgabe von Lebensmitteln, von denen sie wissen oder wissen müssen, dass sie dem anwendbaren Lebensmittelinformationsrecht nicht entsprechen. Eine gewisse Verantwortung soll der Einzelhändler somit wohl doch tragen.

In einer Entscheidung aus Dezember 2019 (LVwG-S-2096/001-2018) hat sich das LVwG Niederösterreich mit diesen Bestimmungen (in Fortsetzung früherer Rechtsprechung) beschäftigt – durchaus mit Bedeutung für die Aufsichtspraxis: Dem Einzelhändler ist nach Art 8 Abs 3 LMIV nur die Abgabe von nicht-konformen Lebensmitteln verboten. Der Begriff der „Abgabe“ sei wesentlich enger als das im Lebensmittelrecht sonst häufig verwendete „Inverkehrbringen“. Demnach umfasse Abgeben nur ein Weitergeben, nicht etwa ein Ausliefern, Lagern und Feilhalten von Lebensmitteln.

Dies bedeutet Folgendes: Zieht ein Aufsichtsorgan – wie üblich – eine nicht LMIV-konforme Fremdmarken-Probe aus dem Filiallager oder den Verkaufsregalen, kann der Einzelhändler dafür nicht bestraft werden; Lagern und Feilhalten sowie auch die vorausgegangene Lieferung sind eben noch keine Abgabe. So war es auch in der genannten Entscheidung: Durch die von der Behörde angelastete Lieferung von der Unternehmenszentrale an eine Filiale wurde das nicht-konforme Lebensmittel noch nicht „abgegeben“; das Gericht hob das behördliche Straferkenntnis in diesem Punkt auf.

Um ein „abgegebenes“ Lebensmittel handelt es sich nur, wenn der Händler es bereits an den Käufer weitergegeben hat, also insbesondere der Kaufvorgang abgeschlossen ist.