Neues zur Prüfungsnichtigkeit – und zur Salzburger Europarechtsprüfung

Ro 2020/10/0025

Der Fall fand mediale Beachtung: Bei einer Europarechtsprüfung an der Universität Salzburg waren aufgrund eines Kopierfehlers der Multiple Choice Angabe bei einem Teil der Studierenden die richtigen Antworten noch erkennbar. Die Universität erklärte daraufhin alle Prüfungen für nichtig – zu Unrecht, wie der Verwaltungsgerichtshof unlängst zugunsten einer von CERHA HEMPEL vertretenen Studentin feststellte (20.8.2021, Ro 2020/10/0025).

Gegen den Bescheid der Universität erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde, welche vom BVwG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen wurde. Begründend führte das BVwG aus, die Ergebnisse der am 28. Februar 2019 stattgefundenen Prüfung aus „Europarecht“ hätten „bei der ersten Durchsicht“ (durch die Prüfer) auffällige Unterschiede in den Prüfungsleistungen aufgewiesen. Es sei nach der Prüfung nicht mehr feststellbar gewesen, für welche Studierende dieser Umstand für das Erreichen eines positiven Ergebnisses ausschlaggebend gewesen sei. Der Prüfungsantritt sei daher für keinen der Studierenden gezählt worden. Diese Feststellungen ergäben sich aus dem Verwaltungsakt und gründeten sich insbesondere auf den „Aussagen der belangten Behörde“.

Der VwGH beschäftigt sich zunächst mit der Kategorisierung von Prüfungsmängeln, indem er festhält, dass es 1. Mängel gibt, die rechtlich irrelevant sind, 2. Mängel, die zur Entfernung der Prüfungsbeurteilung aus dem Rechtsbestand führen (können), sowie schließlich 3. Mängel, die die absolute Nichtigkeit der Prüfung bewirken.

Die erstgenannte Fehlkategorie ergibt sich nach Ansicht des VwGH aus einem Umkehrschluss aus § 79 Abs 1, der nur schweren Mängeln bei der Durchführung von Prüfungen Beachtung schenkt. Daraus resultierend sind leichte Mängel unbeachtlich, es gibt weder eine Möglichkeit der Anfechtung, Nichtigerklärung oder Aufhebung der Beurteilung noch ist die Vornahme einer Beurteilung gehindert.

In die zweite Kategorie von Mängeln fallen einerseits die in § 73 Abs 1 UG genannten Fälle der Erschleichung der Prüfungsanmeldung oder -beurteilung, die die bescheidmäßige Nichtigerklärung der Prüfungsbeurteilung nach sich ziehen. Anderseits sind dort auch die Mängel gem § 79 Abs 1 UG anzusiedeln, also schwere Mängel bei der Durchführung der Prüfung. Diese Mängel führen zur bescheidmäßigen Aufhebung einer negativen Beurteilung und ermöglichen somit eine Kontrolle von (negativ beurteilten) Prüfungen in Hinblick „Exzesse“.

Schließlich gibt es Fehler (der dritten Kategorie), die so gravierend sind, dass man nicht mehr von einer Prüfung bzw. einer Beurteilung der Leistung oder des Studienerfolgs sprechen kann. Es muss sich dabei um derart gravierende Mängel handeln, die gleichsam jenseits der Schwelle des „schweren Mangels“ im Sinne des § 79 Abs 1 UG anzusiedeln sind, bei denen man dem Gesetzgeber nicht mehr unterstellen kann, er hätte im Fall der Nichtanfechtung bzw. im Fall der positiven Beurteilung die Gültigkeit einer solchen „Prüfung“ in Kauf nehmen wollen. Derartige Fehler sind nicht mehr von der Rechtsfolge der §§ 73 Abs 1 bzw.79 Abs 1 UG erfasst und haben die absolute Nichtigkeit der Prüfung bzw. der Beurteilung zur Folge. Als Beispiele für Fälle schwerster Durchführungsmängel nennt der VwGH die Abnahme der Prüfung durch hierzu nicht berechtigte Personen sowie die Absolvierung der Prüfung durch eine(n) andere(n) als den oder die zur Prüfung zugelassene(n) Kandidaten oder Kandidatin. Die Rechtsfolge dieser Durchführungsmängel ist nach Ansicht des VwGH, dass die Prüfung unwirksam ist bzw die Prüfungsbeurteilung rechtlich gar nicht existent wird, sodass es auch keiner Anfechtungsmöglichkeit oder Beseitigung bedarf. Ein solcherart wirkungsloser Vorgang ist auch nicht auf die Zahl der möglichen Prüfungsantritte anzurechnen. Diese Rechtsfolgen treten ex lege ein, wobei die für die Vollziehung der studienrechtlichen Vorschriften zuständige Behörde jedoch über das Vorliegen der absoluten Nichtigkeit von Amts wegen oder auf Antrag einen Feststellungsbescheid erlassen kann.

Im gegenständlichen Fall stimmt der VwGH der Rechtsansicht des BVwG dahingehend zu, dass aufgrund eines Prüfungsbogens bei welchem die richtigen von den falschen Antworten optisch unterscheidbar waren, keine Beurteilung erfolgen kann, weil es sich um keine taugliche Grundlage einer Überprüfung des tatsächlichen Wissenstands einer/eines PrüfungskandidatIn handelt. Sohin liegt ein derart gravierender Mangel der Prüfung vor, dass von einer absoluten Nichtigkeit der Prüfung im oben ausgeführten Sinne auszugehen ist. Zu begrüßen ist, dass der VwGH allerdings die Ansicht des BVwG nicht teilt, wonach im Falle der Durchführung eines Prüfungstermins mit mehreren einzelnen PrüfungskandidatInnen von einer „Gesamtheit“ der Prüfung und in diesem Sinne (scheinbar) von einem einzigen Prüfungsvorgang auszugehen ist. Richtig ist die Ansicht, dass die Prüfungen der einzelnen KandidatInnen vielmehr – selbst bei gleichem Prüfungsbogen – als eigener Akt für sich zu beurteilen sind. Die Annahme der Ungültigkeit der „gesamten Prüfung“ stellt sich sohin erfreulicherweise als falsch dar.

Konsequenterweise hätte das BVwG die konkrete Prüfung der Revisionswerberin zu beurteilen gehabt, wobei er andeutet, dass möglicherweise nicht mehr alle erforderlichen Unterlagen vorliegen.

Im fortgesetzten Verfahren vor dem BVwG wird sich daher vor allem die Frage stellen, wen die nachteiligen Folgen treffen, wenn die erforderlichen Unterlagen nicht mehr auffindbar sein sollten oder sonst nicht mehr festgestellt werden kann, welchen Prüfungsbogen die Studentin verwendete. Hier wäre es unbillig, ginge dies zulasten der Studentin, der dann schlussendlich nur mehr Amtshaftungsansprüche blieben. Nicht auszuschließen ist freilich auch, dass die Studentin in der Zwischenzeit zur Prüfung antritt und das Verfahren dann mangels Beschwer eingestellt wird.

Autoren:
MMag. Dr. Stefan Huber, LL.M., Partner
Adriana Haslinger, Junior Associate