Die kürzlich ergangene Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) vom 15. September 2023 (V ZR 77/22) zur vorvertraglichen Aufklärungspflicht von Verkäufern bei Immobilientransaktionen wirft nicht nur in Deutschland, sondern auch über die Grenze nach Österreich Wellen.
Demnach trifft den Verkäufer eine gesonderte Aufklärungspflicht, selbst wenn der Käufer die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der Informationen im Datenraum hatte. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich um einen Umstand handelt, der dem Käufer erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügen kann und dieser Umstand nicht offensichtlich aus den bereitgestellten Daten erkennbar ist. Der Käufer kann in solchen Fällen grundsätzlich erwarten, dass der Verkäufer ihn auf diesen Umstand hinweist, sofern dieser Umstand dem Verkäufer bekannt ist und daher leicht mitzuteilen ist.
Der BGH hat in seinem Urteil eine wegweisend Entscheidung zu den vorvertraglichen Aufklärungspflichten von Verkäufern bei Immobilientransaktionen getroffen, die potenziell auch Auswirkungen auf Immobilientransaktionen in Österreich haben könnten.
Sachverhalt
Im konkreten Fall ging es um den Verkauf mehrerer Gewerbeeinheiten in einem Gebäudekomplex für einen Kaufpreis von insgesamt etwa EUR 1,5 Mio im Jahr 2019. Der Verkäufer sicherte vertraglich zu, keine Kenntnis von außergewöhnlichen Kosten im laufenden Wirtschaftsjahr oder in der Zukunft zu haben und dass weitere Sonderumlagen in der Eigentümergemeinschaft nicht beschlossen worden seien.
In den Kaufvertragsverhandlungen zwischen den Vertretern des Käufers und des Verkäufers wurde ein virtueller Datenraum genutzt, der wichtige Unterlagen zum Kaufobjekt enthielt. Die Kaufvertragsunterzeichnung beim Notar wurde bereits auf Montag, den 25.03.2019, um 10 Uhr angesetzt. Am Freitag, 22.03.2019 und somit 3 Kalendertage vor der geplanten Kaufvertragsunterzeichnung stellte der Verkäufer eine umfangreiche Beschlusssammlung in den Datenraum ein, die einen Beschluss der Eigentümerversammlung aus dem Jahr 2016 enthielt. In dieser Eigentümerversammlung wurde beschlossen, die (damalige) Mehrheitseigentümerin außergerichtlich und ggf. auch gerichtlich auf Zahlung von EUR 50 Mio. zur Umsetzung von umfangreichen baulichen Änderungen in dem Gebäudekomplex in Anspruch zu nehmen. Ein Klageverfahren endete im Jänner 2020 mit einem Vergleich, der die Erhebung einer Sonderumlage vorsah. Der Käufer und nunmehrige Eigentümer der Gewerbeimmobilie wurde verpflichtet, einen Teil dieser Sonderumlage zu tragen.
Der nunmehrige Käufer und Kläger erklärte die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung sowie vorsorglich den Rücktritt vom Kaufvertrag und argumentierte, dass er nicht ausreichend darüber informiert wurde, dass eine mögliche Sonderumlage von bis zu EUR 50 Mio. anstehe, an der er als neuer Eigentümer beteiligt werden müsse. Er behauptete, dass das Protokoll der Eigentümerversammlung von November 2016 stillschweigend in den Datenraum eingefügt und ihm quasi "untergeschoben" wurde. Der Verkäufer wies darauf hin, dass der Käufer die Möglichkeit hatte, Informationen einzuholen und Fragen zu stellen, von der er nicht ausreichend Gebrauch gemacht habe. Darüber hinaus sei zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses keine Sonderumlage beschlossen worden.
BGH-Entscheidung und Auswirkungen auf die Praxis
Der BGH kommt zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass der Verkäufer den Käufer über die ihn treffende (erhebliche) Kostentragungspflicht gesondert hätte aufklären müssen, da dieser Umstand für den Käufer zweifellos von erheblicher Bedeutung gewesen sei.
Der BGH betonte, dass allein die Bereitstellung von Informationen im Datenraum nicht genügt, um die Aufklärungspflichten des Verkäufers zu erfüllen. Besonders bei Umständen, die erhebliche wirtschaftliche Schäden verursachen können und für die Kaufentscheidung von Bedeutung sind, muss der Verkäufer ausdrücklich hinweisen, selbst wenn die Informationen im Datenraum verfügbar sind.
In diesem Fall ging es um die mögliche Sonderumlage von bis zu EUR 50 Mio., die einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden für den Käufer bedeuten könnte. Der BGH stellte fest, dass der Verkäufer ausdrücklich (ungefragt) über den Kostenumfang aufklären hätte müssen, da der Umstand für den Käufer von entscheidender Bedeutung war. Allein die Existenz eines Datenraums und die Durchführung der Due Diligence bedeuten nicht automatisch, dass der Käufer solche Umstände kennt. Der Umfang und die Struktur des Datenraums, die Benennung der Dokumente und ihre systematische Anordnung sind ebenso wichtige Faktoren, wie die Mitteilung über nachträglich hinzugefügte Unterlagen und die zur Verfügung stehende Zeit für die Prüfung.
Die Aufklärungspflicht des Verkäufers ist allein durch das Einstellen des Protokolls der Eigentümerversammlung in den Datenraum drei Tage vor der Beurkundung noch nicht erfüllt. Der Käufer hatte keinen Grund, den Datenraum kurz vor der Beurkundung auf neue Dokumente zu überprüfen, es sei denn, er wäre ausdrücklich darauf hingewiesen worden. Der BGH betonte, dass selbst ohne eine vereinbarte Frist für das Hinzufügen von Dokumenten in den Datenraum, ein so kurzfristiges Bereitstellen von Informationen nicht zu erwarten war. Zudem war der offenbarungspflichtige Umstand nicht klar aus den eingestellten Unterlagen ersichtlich, da die Sammlung alle Beschlüsse seit mehr als 10 Jahren enthielt.
Die Aufklärungspflicht des Verkäufers ist außerdem nicht als erfüllt anzusehen, nur weil der Käufer Hinweise auf anstehende bauliche Maßnahmen im Datenraum hätte finden können. Im Q&A Prozess wurde dem Käufer bei der Frage hinsichtlich der zu erwartenden Kosten für diese baulichen Maßnahmen, eine zumindest unvollständige Antwort vom Verkäufer gegeben. Selbst wenn der Käufer zusätzliche (Follow-Up)Fragen gestellt hätte, hätte dies nach dem BGH höchstens zu einem Mitverschulden des Käufers geführt, nicht jedoch zur Erfüllung der Aufklärungspflicht des Verkäufers.
Die Entscheidung des BGH betont die Wichtigkeit für Verkäufer, sorgfältig zu prüfen, welche Informationen von erheblicher Bedeutung sind und den Käufer auf diese Umstände (rechtzeitig) hinzuweisen, auch wenn sie im Datenraum verfügbar sind.
Bedeutung für Österreich:
Die genannte Entscheidung des deutschen BGH weist Parallelen zu den vorvertraglichen Aufklärungspflichten in Österreich auf. Aus dem vorvertraglichen Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme lassen sich Schutz- und Sorgfaltspflichten einerseits und Aufklärungspflichten andererseits ableiten. Werden diese vorvertraglichen Pflichten verletzt, können daraus entstandene Schäden geltend gemacht werden.
Allein durch das Einstellen von Informationen und Unterlagen in einen virtuellen Datenraum wird somit auch in Österreich wohl keine ausreichende Erfüllung der Aufklärungspflichten und somit keine Haftungsfreizeichnung des Verkäufers erfolgen. Wenn entscheidende Informationen für die Kaufentscheidung in den Datenraum gestellt werden, sollte der Verkäufer sicherstellen, dass der Datenraum gut organisiert und sachlich sowie fachlich strukturiert ist. Bei Informationen die erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen auslösen könnten sollte der der Verkäufer rechtzeitig und ausdrücklich hinweisen.
Der Verkäufer bei einer Immobilientransaktion ist somit gut beraten, wichtige Informationen, die für den Käufer von großer Bedeutung sein könnten, ausdrücklich zu erwähnen und sicherzustellen, dass diese Informationen auch in den Vertragsunterlagen enthalten sind.