Erste Entscheidung eines Wiener Bezirksgerichts zu § 1104 ABGB im Zusammenhang mit COVID-19

Erstinstanzliche Entscheidung

Das Bezirksgericht Meidling in Wien hat nun als erstes Gericht über die Mietzinszahlungspflicht eines Geschäftsraummieters während des Lockdowns im Frühjahr 2020 entschieden und erachtete dabei den Entfall der Zahlungspflicht des Betreibers eines Frisörsalons als gerechtfertigt (9 C 368/20b). Dabei wurde vor allem ins Treffen geführt, dass ein Friseurgeschäft während der Lockdown-Phase gar nicht genutzt werden konnte, weil eine alternative Nutzung nicht möglich sei, dort insbesondere auch keine Waren eingelagert werden und das versäumte Geschäft eines Friseurs nach der Öffnung nicht wieder nachgeholt werden könnte. Die gewünschte Frisur könnte nämlich bei einem einzigen Frisörbesuch wieder hergestellt werden, Kunden würden den Salon in Folge daher nicht häufiger als gewohnt aufsuchen, nur um die übliche Anzahl von Terminen nachzuholen. Auch einen Werbeeffekt des geschlossenen Friseursalons verneinte das Gericht insbesondere deshalb weil Einkaufsstraßen im April 2020 kaum besucht waren.

Festzuhalten ist, dass es sich hier noch um eine erstinstanzliche Entscheidung handelt, die noch nicht rechtskräftig ist. Zudem ist die Entscheidung öffentlich nicht zugänglich sondern nur über Zeitungsberichte verfügbar.

Insofern wird abzuwarten sein, ob diese Entscheidung im Instanzenzug und auch vor dem OGH halten wird und inwieweit diese Entscheidung auch auf andere betriebliche Nutzungen von Bestandobjekten umgelegt werden kann. Darüber hinaus bestehen zwischen Frisörsalons und Handels- und Gastronomiebetrieben doch ganz entscheidende Unterschiede, die eine zwanglose Anwendung des erstinstanzlichen Urteils auch auf solche Betriebe wohl fraglich erscheinen lässt.

Auf Basis der vorliegenden Berichterstattung zu diesem Urteil hegen wir jedoch erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung. Wie bereits an anderen Stelle ausführlich dargelegt, sprechen gute Gründe dafür, dass es sich hier nicht um einen außerordentlichen Zufall iSd § 1104 ABGB handelt, selbst wenn in dieser Bestimmung die Seuche explizit genannt wird. Vereinfacht gesagt ist nämlich nicht die Seuche für die Unbenutzbarkeit des Bestandobjekts verantwortlich, sondern materialisiert sich ein Risiko, dass alleine mit dem vom Bestandnehmer ausgeübten Betrieb in Zusammenhang steht, wie dieser einfache Vergleich zeigt: während trotz Seuche in ein und demselben Geschäftslokal zwar ein Lebensmittelhändler oder eine Bank zulässigerweise geöffnet hätte sein dürfen, war dies einem Frisör eben verboten. Daraus ergibt sich, dass eine Unbrauchbarkeit nicht am Bestandobjekt liegen kann.