Strenge Voraussetzungen für nationale Vorschriften über verpflichtende Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln

LMIV Herkunftsangaben Lebensmittelinformation

EuGH 01/10/2020, C-485/18, Groupe Lactalis

Die harmonisierte EU-Gesetzgebung über die verpflichtende Angabe des Ursprungslands oder Herkunftsorts von Lebensmitteln schließt den Erlass nationaler Rechtsakte zwar nicht aus. Allerdings müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Zwischen dem Ursprung oder der Herkunft und bestimmten Qualitäten des Lebensmittels muss insb. eine nachweisliche Verbindung bestehen. 

Die obligatorische Herkunftskennzeichnung bestimmter Lebensmittel ist in Art 9 Abs 1 lit i iVm Art 26 Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) geregelt. Die Angaben sind verpflichtend, wenn eine Irreführung der Verbraucher über das tatsächliche Ursprungsland oder den tatsächlichen Herkunftsort möglich wäre sowie für bestimmte Fleischarten (Art 26 Abs 2 LMIV). Ein französisches Dekret schreibt konkret die Angabe der französischen, europäischen oder nicht-europäischen Herkunft auch für Milch und für als Zutat verwendete Milch vor.

Die Gesellschaft Groupe Lactalis erhob gegen dieses Dekret Nichtigkeitsklage beim Conseil d’État (Staatsrat in Frankreich). Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens sprach der EuGH nun aus, dass – trotz der Harmonisierung – über die Unionsregeln hinausgehende zusätzliche Vorschriften für Milch und als Zutat verwendete Milch auf Grundlage von Art 39 LMIV grundsätzlich zulässig sind.

Allerdings müssen die Angaben einerseits aus einem oder mehreren der folgenden Gründe gerechtfertigt sein: Schutz der öffentlichen Gesundheit, Verbraucherschutz, Betrugsvorbeugung und Schutz von gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechten, Herkunftsbezeichnungen und eingetragenen Ursprungsbezeichnungen sowie vor unlauterem Wettbewerb.

Andererseits muss zwischen bestimmten Qualitäten des Lebensmittels und seinem Ursprung oder seiner Herkunft eine nachweisliche Verbindungbestehen. Rein subjektive Assoziationen reichen in diesem Zusammenhang nicht aus. Die Transporteignung eines Lebensmittels und seine fehlende Anfälligkeit gegenüber Risiken eines unterwegs eintretenden Verderbs ist vom Begriff „Qualitäten des Lebensmittels“ nicht umfasst. In einem zweiten Schritt muss auch noch geprüft werden, ob die Informationen für eine Mehrheit der Verbraucher eine wesentliche Bedeutung haben. Diese beiden Anforderungen sind nacheinander zu prüfen.

Beispiele für „Qualitäten“, die zusätzliche Vorschriften für Herkunftsangaben rechtfertigen könnten, nennt der EuGH nicht. Zu denken ist z.B. an bestimmte klimatische Verhältnisse oder eine besondere Bodenbeschaffenheit. Diese Vorabentscheidung verdeutlicht, dass den Mitgliedstaaten für zusätzliche nationale Vorschriften enge Grenzen gesetzt sind. Für nationale Sonderwege bei der obligatorischen Herkunftskennzeichnung bleibt damit wenig Raum.