Gesellschaftsrecht gegen Kartellrecht – die erfolgreiche Abwehr einer Beschlussfassung durch einen Minderheitsgesellschafter (6 Ob 105/19p)

6 Ob 105/19p

Erstmals nach längerer Pause hatte sich der Oberste Gerichtshof in 6 Ob 105/19p – CERHA HEMPEL war am Verfahren beteiligt – ausführlich mit dem Zusammenspiel von Gesellschaftsrecht und Kartellrecht zu befassen.

Ausgangspunkt des Rechtsstreits war die Generalversammlung einer GmbH, in der ein Antrag auf Genehmigung von Budget und Investitionsplan zur Abstimmung gebracht wurde. Der Mehrheitsgesellschafter (68%) stimmte für die Annahme des Antrags, der Minderheitsgesellschafter (32%) dagegen. Für die Annahme des Antrags wäre laut Gesellschaftsvertrag eine Dreiviertel-Mehrheit notwendig gewesen, sodass dem vertretenen Minderheitsgesellschafter mit 32% des Stammkapitals eine Sperrminorität zukam. Der Vorsitzende der Versammlung stellte weder die Annahme noch die Ablehnung fest.

Der von CERHA HEMPEL vertretene Minderheitsgesellschafter brachte daher eine Klage auf Feststellung des Beschlusses – nämlich dahingehend, dass der Antrag mangels Erreichen der Dreiviertel-Mehrheit abgelehnt worden sei – ein. Der Mehrheitsgesellschafter wandte ein, der Minderheitsgesellschafter sei einem Stimmverbot unterlegen, und begründete dies unter anderem damit, dass der Minderheitsgesellschafter – als Konzerngesellschaft einer Supermarktkette – in einem Wettbewerbsverhältnis zur Gesellschaft – als Konzerngesellschaft einer Drogeriefachmarktkette – stehe. Die Stimmrechtsausübung des Minderheitsgesellschafters sei daher kartellrechtswidrig gewesen.

Mit diesem Einwand konnte sich der Mehrheitsgesellschafter aber vor dem OGH nicht durchsetzen. Der Gerichtshof sprach aus, dass die Verhaltenskontrolle des europäischen Kartellverbots (Art 101 AEUV) auf die gesellschaftsrechtlichen Mitwirkungsrechte eines Gesellschafters – als Ergebnis des Erlangens (gemeinsamer) Kontrolle – grundsätzlich nicht anwendbar ist (wobei freilich diese Kontrollrechte aus kartellrechtlicher Sicht nicht unbeschränkt zustehen, sondern nur im Rahmen dessen, was zur Ausübung der effektiven Wahrnehmung dieser Rechte notwendig ist).

Weiters sprach der OGH aus:

  • Eine Beschlussfeststellungsklage muss nicht gegen die Mitgesellschafter gerichtet werden; es genügt, sie gegen die Gesellschaft einzubringen – die Entscheidung wirkt für und gegen sämtliche Gesellschafter.
  • Für das Einbringen einer Beschlussfeststellungsklage gilt die Ein-Monats-Frist des § 41 Abs 4 GmbHG nicht.
  • Die teilweise Nichtigerklärung eines Gesellschafterbeschlusses ist nicht möglich, wenn mehrere Beschlussgegenstände in einem einheitlichen Abstimmungsvorgang so zusammengefasst sind, dass der Beschluss eine rechtliche oder wirtschaftliche Einheit bilden soll.
  • Die Stimmabgabe des Minderheitsgesellschafters war nicht treuwidrig, weil die Investitionen für die Gesellschaft nicht überlebensnotwendig waren, der Minderheitsgesellschafter keine Blockade-Politik verfolgte, und das Verfolgen eines Interesses an Gewinnausschüttungen keineswegs illegitim ist.
  • Die Geschäftsführer einer GmbH sind bei Entscheidungen über Investitionen an Weisungen der Gesellschaftergesamtheit gebunden und dürfen diese nicht gegen deren Willen vornehmen.