BFG: Keine Wiederaufnahme von Amts wegen bei periodenübergreifender Tatsachenkenntnis

Wiederaufnahme Neuerung

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Dr. Benjamin Twardosz, LL.M.

Dr. Benjamin Twardosz, LL.M.

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  • Das Finanzamt kann abgeschlossene Verfahren wiederaufnehmen und zB höhere Abgaben festsetzen, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen. Strittig ist daher, wann Tatsachen oder Beweismittel als „neu hervorgenkommen“ gelten.
  • Die höchstgerichtliche Rechtsprechung bezieht den Begriff „neu“ auf das jeweilige Veranlagungsjahr, sodass bereits bekannte Tatsachen jedes Jahr „neu“ sein könnten.
  • Das Bundesfinanzgericht kam in einer neuen Entscheidung (BFG 28.06.2022, RV/7101157/2011) hingegen zum Ergebnis, dass bei periodenübergreifenden Sachverhalten eine Offenlegung in einem früheren Jahr auch in Folgejahren nichts „Neues“ ist, und die Behörde daher im Folgejahr nicht zur Wiederaufnahme berechtigt.
  • Damit ist der Abgabepflichtige bei richtiger Offenlegung von Sachverhalten vor der Wiederaufnahme geschützt.

 

Hintergrund

Gemäß § 303 Bundesabgabenordnung (BAO) kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren von Amts wegen unter anderem dann wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren „neu hervorgekommen“ sind (§ 303 Abs 1 lit b BAO). Die Bestimmung soll in bestimmten Fällen und vor Ablauf der Verjährung der Rechtsrechtsrichtigkeit den Vorrang vor der Rechtssicherheit einräumen und die umfassende Änderung von Bescheiden ermöglichen. Sie hat in der Praxis zB dann Bedeutung, wenn nach Bescheiderlassung eine Abgabenprüfung erfolgt und im Rahmen der Prüfung Umstände neu hervorkommen. Dabei kann aber strittig sein, welche Tatsachen oder Beweismittel „neu hervorgekommen“ sind. Wenn die Behörde diese nämlich bereits kannte, sind sie nicht „neu“ und die Möglichkeiten der Änderung eines Bescheides sehr beschränkt. Im gegenständlichen Fall war ebenfalls strittig, ob die Umstände neu hervorgekommen sind. Der Verwaltungsgerichtshof bezieht (VwGH) den Begriff „neu“ auf das jeweilige Jahr, daher kann die selbe Tatsache theoretisch jedes Jahr „neu“ sein. Das Bundesfinanzgericht (BFG 28.06.2022, RV/7101157/2011) entschied im konkreten Fall dennoch im Sinne des Abgabepflichtigen, dass die Tatsachen nicht neu waren, weil sie bereits in einem vorangegangenen Jahr bekanntgegeben wurden. Entscheidend war, dass die Auswirkung in den Folgejahren erkennbar war.

Sachverhalt

In eine GmbH wurden Anteile an einer Kommanditgesellschaft einschließlich dazugehörendem „Sonderbetriebsvermögen“ eingebracht und dies dem Finanzamt im Jahr 2004 angezeigt und die Verträge dazu vorgelegt. Im Wirtschaftsjahr 2005/2006 erfolgte eine Ausschüttung. Die Behörde setzte die Abgaben zunächst mit Bescheid erklärungsgemäß fest. Danach fand eine Außenprüfung statt. Mit Verweis auf die Prüfungsfeststellungen nahm die Abgabenbehörde die Körperschaftsteuerverfahren wieder auf und setzte die Körperschaftsteuer 2006 und 2007 neu fest. Das Sonderbetriebsvermögen sei dem Finanzamt im Jahr 2006 und 2007 nicht bekannt gewesen. Dagegen wurde Beschwerde erhoben.

Für das BFG waren aufgrund des konkreten Sachverhaltes keine neuen Tatsachen oder Beweismittel erkennbar. Der Beschwerde gegen die Wiederaufnahme wurde Folge gegeben.

Rechtsprechung des VwGH

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist das Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln nur aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen. Das „Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln“ bezieht sich damit auf den Wissensstand des jeweiligen Veranlagungsjahres (vgl VwGH 13. November 2019, Ra 2019/13/0102; VwGH 27. Februar 2014, 2011/15/0106 mwN).

Verfahrensübergreifende Tatsachenkenntnis

Eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen kann nicht auf solche Tatsachen gestützt werden, die der Behörde bereits bekannt waren, aber im Ermittlungsverfahren als unwesentlich nicht weiter berücksichtigt worden sind (VwGH 8.11.1973, 1428/72).

Eine Einbringungsanzeige ist unzweifelhaft auch für die Folgejahre von Relevanz und kann gerade auch durch die Ablage dieser Unterlagen durch die belangte Behörde im Körperschaftsteuerakt der Beschwerdeführerin in den Folgejahren, in denen das streitgegenständliche Sondervermögen auch weiterhin bilanziell ausgewiesen ist, nicht unberücksichtigt bleiben oder gar negiert werden (vgl auch BFG 29. März 2017, RV/6100881/2014).

Neuhervorgekommene Tatsachen und Beweismittel waren daher für das Bundesfinanzgericht nicht erkennbar.

Ergebnis und Kommentar

Bei einem periodenübergreifenden Sachverhalt sollte es ausreichen, diesen einmal vollständig offenzulegen und in dieser Offenlegung auf die Auswirkungen in den Folgejahren hinzuweisen. In den Folgejahren sollte es dann genügen, auf die bereits erfolgte Offenlegung hinzuweisen (im konkreten Fall durch Ausweis des Sonderbetriebsvermögens in der Bilanz) um vor einer Wiederaufnahme geschützt zu sein. Eine jährliche vollständige Offenlegung sämtlicher Unterlagen wäre nach dieser Rechtsprechung nicht notwendig. Da das Finanzamt gegen diese Entscheidung keine Revision beim VwGH erhoben hat, ist fraglich, ob der VwGH diese Ansicht teilt. Es bleibt abzuwarten ob der VwGH seine Rechtsprechung präzisiert, und sich dem BFG anschließt.