Einbringungshemmende Wirkung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung im Zollrecht

Autor

Dr. Benjamin Twardosz, LL.M.

Dr. Benjamin Twardosz, LL.M.

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Nach der aktuellen Judikatur (VwGH 12. 11. 2021, Ra 2020/16/0158) hat bereits der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im Zollrecht einbringungshemmende Wirkung, noch bevor diesem Antrag stattgegeben wird. Damit entspricht der Rechtsschutz im Zollverfahren jenem im Abgabenverfahren. Die Zollverwaltung ignoriert diese Rechtsprechung gegenwärtig noch. Der Beitrag zeigt auf, dass dies grundrechtlich bedenklich ist und Amtshaftungsansprüche nach sich ziehen kann.

Einführung

Nach Art 45 Abs 1 UZK hat die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung keine aufschiebende Wirkung. Art 45 Abs 1 UZK entspricht inhaltlich § 254 BAO. Auch gemäß § 254 BAO wird die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides durch Einbringung einer Bescheidbeschwerde nicht gehemmt, insbesondere die Einhebung und zwangsweise Einbringung einer Abgabe nicht aufgehalten.

Gemäß Art 45 Abs 2 UZK setzen die Zollbehörden die Vollziehung der Entscheidung (ganz oder teilweise) in zwei Fällen aus: (1) Wenn die Zollbehörden begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung haben oder (2) wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte. Liegt einer der Fälle des Art 45 Abs 2 UZK vor, wird die Vollziehung der Entscheidung entweder gegen Sicherheitsleistung oder ohne eine solche ausgesetzt (vgl Art 45 Abs 3 UZK).

Hemmung der Einbringung bedeutet einen Aufschub der Vollziehung. Während der Hemmung dürfen Einbringungsmaßnahmen weder eingeleitet noch fortgesetzt werden. Entscheidend ist, ob diese Wirkung bereits mit Einbringung des Antrags eintritt oder erst mit dessen Bewilligung.

Im Abgabenverfahren räumt § 212a BAO dem Abgabepflichtigen das Recht ein, einen Antrag auf Aussetzung der Einhebung zu stellen. Nach Stellung eines Aussetzungsantrages dürfen gemäß § 230 Abs 6 BAO Einbringungsmaßnahmen hinsichtlich der davon betroffenen Abgaben bis zu seiner Erledigung weder eingeleitet noch fortgesetzt werden.

In Punkt 4.3.3. der ZK-0220 Arbeitsrichtlinie Zollrechtliche Entscheidungen, Bewilligungen und Rechtsbehelfe, GZ BMF-010313/0111-VI/6/2016 idF GZ 2020-0.824.934 vom 14.12.2020 („Arbeitsrichtlinie ZK-0220“) verneint die Zollverwaltung die einbringungshemmende Wirkung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung im Zollrecht. Die bloße Einbringung eines Aussetzungsantrags dürfe laut der Zollverwaltung nicht mit einer de facto erfolgenden Aussetzung einhergehen. Dies würde dem Wortlaut des Art 45 UZK entgegenstehen. Die Bestimmung des § 230 Abs 6 BAO komme aufgrund des Art 45 UZK im Zollverfahren nicht zur Anwendung.

Verhältnis von Art 45 UZK zu § 230 Abs 6 BAO

Unionsrecht genießt grundsätzlich Anwendungsvorrang vor innerstaatlichem Recht (EuGH 20. 5. 2003, Rs C-469/00, SARL; 17. 12. 1970 Rs C-11/70, Internationale Handelsgesellschaft, sowie insbesondere EuGH 8. 9. 2010, Rs C-409/06, Winner Wetten).

Art 45 Abs 1 UZK lautet: „Die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung hat keine aufschiebende Wirkung“.

§ 230 Abs 6 BAO lautet: „Wurde ein Antrag auf Aussetzung der Einhebung gestellt, so dürfen Einbringungsmaßnahmen hinsichtlich der davon … betroffenen Abgaben bis zu seiner Erledigung weder eingeleitet noch fortgesetzt werden.“

Art 45 UZK würde § 230 Abs 6 BAO aber nur dann verdrängen, wenn beide Bestimmungen den selben Sachverhalt regeln.

Die englische Fassung von Art 45 Abs 1 UZK lautet: „The submission of an appeal …“ und spricht daher weder von einem Antrag (application) noch von einer Aussetzung (suspension) noch von Vollziehung (enforcement). Unter dem Rechtsbehelf iSd Art 44 und 45 Abs 1 UZK sind daher Bescheidbeschwerden und nicht Anträge auf Aussetzung der Einhebung zu verstehen. Daher steht Art 45 UZK der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bis zur Erledigung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung nicht entgegen. Lediglich die Bescheidbeschwerde selbst hat keine aufschiebende Wirkung.

Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes

Die Zollverwaltung verlangt in Pkt 4.3.3. der Arbeitsrichtlinie ZK-0220, dass die Aussetzung der Vollziehung eines Bescheides erst dann erfolgen darf, wenn die Zollbehörde das Vorliegen einer der zwei alternativen Voraussetzungen des Art 45 Abs 2 UZK geprüft und bejaht hat. Diese Vorgehensweise reicht allerdings nicht aus, um ein bestimmtes Mindestmaß an Rechtsschutz zu gewährleisten.

Ein Aussetzungsantrag dient dem Ziel der faktischen Effizienz von Bescheidbeschwerden: Es ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht zulässig, den Antragsteller einseitig mit allen Folgen einer potenziell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung solange zu belasten und ihm das Rechtsschutzrisiko vorbehaltlos aufzulasten, bis über seinen Aussetzungsantrag entschieden wird (vgl VfGH 11. 12. 1986, G119/86). Aufgrund dieser Rechtsprechung wurde § 254 BAO, der inhaltlich dem Art 45 UZK entspricht, im Jahr 1986 als verfassungswidrig aufgehoben. Damals stand § 230 Abs 6 BAO noch nicht in Kraft. Erst im Jahr 1987 wurde dies saniert, indem Anträgen auf Aussetzung die einbringungshemmende Wirkung zuerkannt wurde.

Rechtsprechung

Das Bundesfinanzgericht (BFG) bejahte bereits im Jahr 2015 die einbringungshemmende Wirkung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung auch im Zollrecht (BFG 16.7.2015, RV/5200072/2011).Die Rechtsauffassung des BFG hat mittlerweile auch der VwGH zweimal bestätigt (VwGH 30. 1. 2020, Ro 2019/16/001; VwGH 12. 11. 2021, Ra 2020/16/0158).

Ergebnisse und praktischer Hinweis

Die Zollverwaltung unterstellt dem Unionsrecht derzeit einen grundrechtswidrigen Inhalt. Es trifft zwar zu, dass grundrechtswidriges Unionsrecht nationales grundrechtskonformes Recht verdrängt. Allerdings kann Art 45 UZK grundrechtskonform auch so interpretiert werden, dass § 230 Abs 6 BAO anwendbar ist und Anträge auf Aussetzung der Vollziehung im Zollverfahren einbringungshemmende Wirkung haben. Gewährt die Zollverwaltung keinen solchen Aufschub, und entsteht dem Zollpflichtigen dadurch ein Schaden, so kann dies aufgrund der Rechtswidrigkeit Amtshaftungsansprüche nach sich ziehen.