Lehrfreiheit und Präsenzlehre

Art 17 StGG

In einem Interview mit der „Presse“ vom 19.08.2020 erklärte Wissenschaftsminister Faßmann, die Lehrfreiheit räume den Lehrenden – auch im Licht der Covid 19-Pandemie - ein Recht auf Präsenzlehre ein. Angesichts mannigfaltiger Bemühungen der österreichischen Hochschulen um einen sicheren Lehrbetrieb soll im Folgenden diese Äußerung juristisch kritisch hinterfragt werden. Wäre die Äußerung zutreffend, könnten einzelne Lehrende die Bemühungen der Hochschulen relativ einfach torpedieren.

Die Lehrfreiheit ist verfassungsrangig in Art 17 StGG gemeinsam mit der Wissenschaftsfreiheit verankert. Primär schützt sie die WissenschafterInnen gegen unerwünschte staatliche Eingriffe. Darüber hinaus entspricht es dem Stand der Rechtsprechung, dem Grundrecht auch insoweit einen „institutionellen Gehalt“ zuzuerkennen, als organisatorische Vorgaben nicht dazu führen dürfen, dass das Grundrecht verletzt wird (so war der VfGH der Ansicht, dass die Wissenschaftsfreiheit es gebietet, dass in Habilitationskommissionen die habilitierten Mitglieder über eine Stimmenmehrheit verfügen müssen).

Unzweifelhaft schützt Art 17 StGG in diesem Zusammenhang Lehrende vor staatlicher (oder auch universitärer) Einflussnahme auf ihre Lehrinhalte, darüber hinaus aber auch auf Lehrmethoden. Ob Art 17 StGG auch die Präsenzlehre (als eine Form der Lehrmethode) schützt, ist der Rechtsprechung des VfGH nicht zu entnehmen. Tatsächlich wird aber so gut wie jede Lehrmethode, die in Präsenz verwendet werden kann, auch online anwendbar sein (sieht man vielleicht von bestimmten gruppendynamischen Übungen ab). Insoweit wird die Aufforderung, Online-Lehre abzuhalten, schon gar nicht in die Lehrfreiheit eingreifen. Es müsste lediglich gewährleistet sein, dass die Methodenfreiheit gewahrt wird: Ein Frontalunterrichts-Aficionado wird insoweit das Recht haben, den Frontalunterricht vor einer Webcam abzuhalten und kann nicht gezwungen werden, interaktive oder asynchrone Elemente einzubauen. Gegenprobe: Können Lehrende erzwingen, ihre Lehrveranstaltung – unabhängig von der Anzahl der Studierenden – im Audimax abzuhalten? Wohl kaum.

Doch selbst wenn man annimmt, dass der Lehrfreiheit auch ein Recht auf Präsenzlehre inhärent ist, gilt doch, dass die Lehrfreiheit nicht vorbehaltslos gilt: Sie findet nach herrschender Lehre ihre Schranken in den so genannten allgemeinen Gesetzen: es ist zulässig, einen Ordnungsrahmen zu errichten, solange dieser nicht intentional auf die Beschränkung der Lehrfreiheit abzielt.

Unabhängig von ihrer theoretischen Verortung stellen Curricula jedenfalls eine Beschränkung der Lehrfreiheit dar, indem sie Vorgaben über Art und Umfang von bestimmten Lehrveranstaltungen machen. Insofern wäre es denkbar, dass die Hochschulen durch generelle Normen (Verordnungen) entsprechende Regelungen treffen.

Doch auch sonst ist anerkannt, dass etwa der Gesundheitsschutz eine Schranke für die Forschungsfreiheit sein kann. Dies wird zwanglos auf die Lehrfreiheit übertragbar sein. Solange die Hörsaalsituation ein gesteigertes Gesundheitsrisiko mit hoher Wahrscheinlichkeit nach sich zieht, wird es zulässig sein, Präsenzunterricht zu beschränken.

Im Hinblick auf die oben genannten Curricula wird vertreten, dass Beschränkungen für die Pflichtfächer zulässig sind, darüber hinaus – zumal Habilitierten – das Recht zukommen soll, jegliche Lehrveranstaltung anzubieten. Doch auch in diesem Kontext lässt sich Präsenzlehre nicht erzwingen: Es gilt das oben über Beschränkungen aus Gründen des Gesundheitsschutzes ausgeführte.

Was bleibt: Ein Interview, das – ohne Notwendigkeit – für Unruhe bei den sehr um adäquate Regelungen bemühten Hochschulen sorgt. Jedenfalls in diesem Kontext ist die ministerielle Rechtsansicht nicht alternativlos.